Sonntag, 15. Dezember 2013

Wie China mich nicht ausreisen lassen wollte und ein Langzeitreisender mir Flausen in den Kopf setzte.

Last stop before the summit.

Liebe Freunde der Abwechslung.


Da war ich nun also: den Kopf verwirrt von so viel Schönheit des Himalayas und den Po zerknautscht von 10 Stunden Jeepfahrt stand ich vor ihr: die chinesisch-nepalesische Grenze. Ein Jahr in China würde nun vorbei gehen, mein Visum in 5 Tagen ablaufen.
Nepal und mich trennten nur noch eine Brücke, ein Stempel und ein Grenzbeamter.

Denkste.


Nachdem der nette chinesische Grenzbeamte meinen Rucksack durchwühlt hatte - inklusive Dreckwäsche - mit Händen, die vorher schon die Dreckwäsche unzähliger anderer Grenzgänger inspiziert hatte, hatte er doch tatsächlich was gefunden: einen Lonely Planet für Nepal. Nicht für China, nein NEPAL! Naja.
Nach einiger Diskussion einigten wir uns darauf, dass er die Seiten über den Dalai Lama rausriss und mir meine Recherchen und Adressen überließ. Abgenickt, weitergeschickt, nur noch ein Stempel und eine Brücke.

Denkste.

Auftritt Obermufti vom Dienst: die Deutschen da kommen heute nicht durch. Wäre ja auch zu schön gewesen.
Wir strandeten also in einer Art Stundenhotel, Grenzstädte scheinen dazu zu neigen sich in reine Bordellstädte zu verwandeln bei Nacht. Keine Details.

Nächster Tag, neuer Versuch.
Und tatsächlich.
Grenzbeamter: Check.
Stempel: Check.
Brücke: Check.

Nepal.

Worte können nicht beschreiben was auf der anderen Seite auf uns wartete: Grün bewachsene Berghänge, Wasserfälle und lachende Menschen. Keine Stundenhotels, keine Bordelle, keine miesgelaunten Grenzbeamten. Willkommen im Paradies.
Schon wenige Tage nach meiner Ankunft machten Verena und ich uns auf Wandertour. Auf 3200m und zurück in vier Tagen. Na dann mal los. Schon nach dem ersten Tag verfluchte ich mich, ausgerechnet mit einer Triathletin diese Etappe angegangen zu sein. Manchmal ist mein Optimismus größer als er sein sollte.
Zurück in Kathmandu waren es wohl die Glückshormone noch am Leben zu sein, die mich antrieben gleich wieder weiter zu laufen: Dieses Mal ohne Verena, auf 5400m.
Meine Begleiter waren schon nach dem ersten Abend auf entspannten 800m schnell gefunden: zwei Australier, zwei Franzosen und ein Deutscher sollten für die nächsten drei Wochen meine ständigen Begleiter sein. 6-10 Stunden an einem durchschnittlichen Tag.
In den nächsten Tagen bot sich mir die Natur wie ein faszinierender Film: von tropischen Palmen gelangten wir zu Reisfeldern, in kühle Laubwälder, Tannenwälder. In der Ferne erschienen die ersten schneebedeckten Bergspitzen. Zwei Tage später, auf 4000m umgaben uns nur noch vereinzelt Moose, ab 4800m sah es aus wie auf dem Mond. Karge Landschaften und bröckelnde Felswände führten uns immer näher dem Himmel entgegen und unserem Ziel, dem Thorung-La Pass ein Stück näher. Nicht nur der Abgrund neben uns wurde immer tiefer, wir begannen uns trotz Erschöpfung abends auch immer besser in unserer neuen Gruppe kennen zu lernen.
Ein Medizinstudent und eine Krankenschwester, die beide schon in Afrika gearbeitet hatten, ein Arbeiter aus der Schwermetallindustrie, ein Langzeitstudent, ein Langzeitreisender und ich.
Wie anders die Welt aus anderen Blickwinkeln aussieht! Ein Bergarbeiter, der gerade Arbeitslosenurlaub macht sieht die Welt aus anderen Augen, als einer, der ab und zu nur arbeitet, um seine Reisen zu finanzieren. Eines hatten meine vier Weggefährten jedoch gemeinsam: Sie waren auf ihre Art und Weise besonders in dem was sie machten und zutiefst zufrieden mit dem, was sie taten.

Eines Abends irgendwo zwischen 3800m und 4500m führte ich ein langes Gespräch mit dem Langzeitreisenden.
Drei Jahre war er nun unterwegs. Seine Reise würde in zwei Monaten enden. Er würde Student werden. In Asien war er gestartet. In Südamerika und Amerika war er danach gewesen. Europa fand er wunderschön, aber sein Herz schlug für Bolivien.
Er erzählte von Begegnungen mit Einwohnern Kolumbiens, wie er Thailand bereist hatte und so schnell es ging Chile verlassen hatte. In jeder seiner Geschichten schwang Wehmut und Faszination mit, seine Geschichten verbanden sich zu Filmen in meinem Kopf. Bewundernswert, so viel Zeit, so viele Reisen, so viele Abenteuer.

Wo ich demnächst hinwolle, fragte er mich. Es gäbe noch so viel Träume, antwortete ich, aber bald sei mein Bachelor durch, der Master stehe schon vor der Tür, Semesterferien seien kurz, nach dem Master ginge der Ernst des Leben los. Ich hätte einfach keine Zeit so viel zu reisen.
"Und, bist du damit glücklich?", fragte er mich. "Irgendwie schon.", antwortete ich. Da lachte er und sah mich ernst an: " Sherin, niemand wird sich später ärgern, dass er seinen Job nicht ein Jahr früher begonnen hat. Niemand wird sich wünschen sein Haus ein Jahr früher gebaut zu haben. Aber viele Menschen schauen später auf ihr Leben zurück und wünschten sich sie hätten ihre Wünsche erfüllt, als sie noch jung waren. Als ihnen Schlafsääle mit 40 anderen Reisenden nichts ausmachten, als sie für 50ct zu Abend aßen und spontan genug waren ihre Pläne für ein Abenteurer abzuändern. Ich sehe, dass dein Herz für andere Kulturen schlägt, für die Geschichten, die du mit erfurchtsvollen Augen erlebst und mit brennendem Herzen weiter erzählst. Wer hat dir gesagt, dass du das Leben nach deutscher Norm Leben musst? Und wer hat dir bewiesen, dass das der richtige Weg ist?"

Die letzten Tage bis zum Pass vergingen wie im Flug. Die letzte Etappe, die letzten 800m stachen in meiner Brust, mein Kopf fühlte sich an als würde er gleich platzen, mein Puls ging nach jeden drei Schritten gegen 200. Weiter. Bald würden wir da sein. Wir waren um 3 Uhr morgens gestartet, gegen 16 Uhr würden wir ankommen. Weiter. Noch 100 Höhenmeter lagen vor uns, danach 1100 m Richtung Tal. In der Ferne sahen wir das Gipfelhäuschen und mit letzter Kraft erreichten wir das Schild: Herzlichen Glückwunsch! 5417m liegen unter uns. Das ist höher als das Everest Base Camp.
10 weitere Tage später schmerzten uns die Knie vom tagelangen Abstieg, müde und erschöpft fielen wir in unsere Betten. 220 km, 5417 Höhenmeter und drei Sonnenbrände lagen hinter uns.

Bald schon würde es für uns alle Heim gehen, zurück in unsere alten Leben. Neben Trekkingkleidung, Mitbringseln und Mückenstichen würde ich aber vor allem etwas neues mitbringen: einen neuen Plan, gut für Herz, Hände und Stirn.
Aber dazu bald mehr.


Kuesse,
Sher.




Lieblingsstory: Unser Taxifahrer, der Seemann im Herzen.
"Sherin, da ist keine Brücke und da vorne endet der Fluss in einem Wasserfall!"
"Ach, der Kutscher kennt den Weg!"
...
"Verena, der will da wirklich durch!
Verena, ich hab nasse Füße!
Verena, ... wir sind abgesoffen!"














Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen